Geschichte

Adolf Reichwein (1898 – 1944) und der sozialdemokratische Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Als im Jahre 1930 der damals schon bekannte und angesehene Pädagoge Adolf Reichwein seine Lehrtätigkeit als Professor an der Pädagogischen Akademie in Halle an der Saale aufnahm, konnte niemand wissen, dass er nur reichlich drei Jahre hier sein würde, unter welchen Vorzeichen diese Zeit enden, und dass es sich um den Höhepunkt seines beruflichen Schaffens handeln sollte.

Zugleich war es eine Zeit, in die eine der wichtigsten Entscheidungen seines Lebens fallen würde: der Eintritt in die SPD, die damit eines ihrer herausragendsten Mitglieder mit Bedeutung für ganz Deutschland einschließlich des sozialdemokratischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gewann, ein Einsatz, den er letztlich mit seinem Leben bezahlen musste.

Adolf Reichwein wurde am 3. Oktober 1898 in Bad Ems als Sohn eines Lehrers. 1904 siedelte die Familie nach Hessen über, wo er seit 1908 am Freizeitleben der „Wandervogelbewegung“ teilnahm. Im Ersten Weltkrieg wurde er als gerade 19jähriger schwer verwundet. Nach dem Krieg studierte er in Frankfurt/Main und Marburg/Lahn, wobei allein schon durch die vielfältige Fächerwahl sein lebenslang immer wieder bemerkenswert breites Interesse deutlich wurde. 1923 promovierte er zum Dr. phil. mit dem Thema „China und Europa im 18. Jahrhundert“. Sehr bald übernahm er überregionale Aufgaben und wurde schließlich von 1925 bis 1929 Leiter der Volkshochschule Jena. Er unternahm Reisen durch Nord- und Mittelamerika sowie Südostasien, schrieb Bücher darüber, die ihm das Geld für ein eigenes Sportflugzeug einbrachten.

Es muss bereits damals etwas Besonderes von ihm ausgegangen sein, denn sonst wäre er als in Jena ansässiger Volkshochschulleiter nicht 1929 zum Leiter der Pressestelle und persönlichen Referenten des preußischen Kultusministers Becker geworden, bis er von April 1930 an als Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der Pädagogischen Akademie in Halle/Saale tätig war. Auch dort beschritt er sogleich vielfältige neue Wege, war er doch pädagogischer Praktiker und Theoretiker gleichermaßen. Beispielsweise sollten seine Studenten die Arbeitssituation der Bevölkerung kennen lernen, deren Kinder sie später unterrichten würden. Die Vorbereitung auf die Jugendweihe gehörte ebenfalls zum Schulalltag. Die abschließenden Feiern fanden im halleschen „Volkspark“ statt, jenem 1907 von Sozialdemokraten errichteten „Palast für Arbeiter“.

Eine glänzende weitere Laufbahn schien Adolf Reichwein beschieden, zumal er auch als Wissenschaftler und Publizist unermüdlich tätig war. Sein Werk umfasst nahezu 300 Titel mit enormer fachlicher Breite. Doch unmittelbar nach der Machtausbreitung der Nationalsozialisten endete dieser Teil seines Lebensweges. Das war die damals beinahe zwangsläufige Folge seiner offen gezeigten politischen Überzeugung und gradlinigen Haltung.

Er fühlte sich in besonderer Weise den aktiven, jüngeren Reformsozialisten innerhalb der Partei zugehörig und wurde in diesem Sinne auch publizistisch tätig. Noch heute lesen wir im Lexikon: „Er bemühte sich um die Verbindung von Arbeiterschaft und Intelligenz“. In öffentlichen Vorträgen und seinen Vorlesungen setzte sich Reichwein entschieden mit dem Nationalsozialismus, seinen ideologischen Versatzstücken, Scheinlösungen, Phrasen und Schlagworten auseinander.

Die damals geradezu unausweichliche Folge dieser offen vorgetragenen Überzeugung war seine Kündigung am 24. April 1933 auf der Grundlage des sogenannten „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, mit dessen Hilfe außer Reichwein nahezu der ganze Lehrkörper der Akademie entlassen wurde, einschließlich seiner Frau, der Dozentin Rosemarie Pallat. Nur wenige Wochen zuvor, am 1.April hatten die beiden geheiratet. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. Das junge Paar konnte nun nicht mehr in Halle leben, sondern zog nach Tiefensee in die Mark Brandenburg, wo Reichwein eine „Bewährungsstelle“ als Leiter einer einklassigen Dorfschule übertragen bekam. Auch dort entwickelte er seine praktischen reformpädagogischen Vorstellungen weiter.

Sehr bald begann seine Teilnahme am Widerstand gegen die NS-Diktatur. Durch seine politisch engagierten Freunde wusste er von verschiedenen illegalen Widerstandsgruppen sowohl sozialistischer als auch kommunistischer Richtungen, die in Berlin aktiv waren. Bereits ab 1940 nahm er an der Arbeit und den konspirativen Treffen des „Kreisauer Kreises“ um den Grafen Helmuth James von Moltke teil. Er wurde zum Verbindungsmann zwischen diesem Kreis und den verschiedensten Widerstandorganisationen in ganz Deutschland und im benachbarten Ausland. Auf diese Weise gewann man für die Arbeit der „Kreisauer“ auch Vertreter der Arbeiterbewegung: Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner und vor allem Julius Leber.

In Kreisau hielt Reichwein einen Vortrag mit dem zwar sehr allgemeinen formulierten Thema „Gedanken über Erziehung“, doch war dieser Beitrag zu einem kulturpolitischen Programm für die Zeit nach dem erhofften Sturz Hitlers offenbar so politisch und überzeugend, dass Reichwein als Kultusministerkandidat vorgesehen wurde. Doch seine Versuche, die Breite des Widerstandes nun auch durch im Untergrund arbeitende Kommunisten zu vergrößern, führte bereits beim zweiten Treffen, am 4. Juli 1944 zu seiner Verhaftung durch die Gestapo.

Aus der Zeit danach gibt es erschütternde Berichte über schwere Misshandlungen, aber auch über seine Standhaftigkeit im Prozess und seinen Abschiedsbrief an die Familie aus der Todeszelle des Gefängnisses Berlin-Plötzensee. Adolf Reichwein wurde am 20.10.1944 unmittelbar nach dem Urteilsspruch erhängt. Seine Leiche wurde verbrannt und die Asche auf den Rieselfeldern Berlins verstreut.

Adolf Reichwein ist Teil des bedeutenden sozialdemokratischen Widerstandes Seinen Namen tragen heute viel Schulen und Straßen in Deutschland. Auch in Halle ist er nicht vergessen: Das SPD-Haus in der Großen Märkerstraße und die Volkshochschule der Stadt sind nach ihm benannt.